Vorschau – 24 Stunden von Le Mans
Rene Binder: „Hier ohne Fehler durchzufahren ist schon ein Sieg!“
Le Mans, 2022-06-08
Bereits zum viertel Mal in Folge nimmt Rene Binder am kommenden Samstag den mit Spannung erwarteten 24-Stunden-Klassiker von Le Mans in Angriff. Mit seinem Team „Algarve Pro Racing“ peilt der 30-jährige Tiroler eine Podiumsplatzierung in der Pro-Am-Klasse der LMP2 Wertung an.
In diesen Tagen geht es im Mekka des Langstreckenrennsports sowohl auf als auch neben der Strecke ans Eingemachte. Während einige Hersteller endlich mehr Details zu ihren neuen Prototypenprogrammen verraten werden, darf man in der LMP2 Klasse noch einmal den härtesten Kampf um den begehrten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans erwarten.
Rene, Du hast zuletzt aufgrund einer Mittelohrentzündung nicht trainieren können, bist aber für das Saisonhighlight gerade noch fit geworden…
Rene Binder: „Vor einer Woche hätte ich noch gar nicht fahren können, aber bis es dann wirklich losgeht, sollte ich doch fit sein. Der Fitnessfaktor spielt neben dem Materialfaktor sicher die größte Rolle bei diesem Rennen. Es ist eines der anstrengensten Rennen, das ich je gefahren bin. Man kann das nur schwer beschreiben. Es ist die permanente Belastung, in jedem Moment konzentriert sein zu müssen, ohne Fehler durch den Verkehr und durch die Boxenstopps zu kommen, aber auch als Team wie eine Einheit zu funktionieren. Hier ohne Fehler durchzufahren ist eigentlich schon ein Sieg.“
Nachdem die Königsklasse der so genannten „Hypercars“ noch auf das große Comeback der Hersteller im nächsten Jahr wartet, wird ihr die LMP2 Klasse vielleicht zum letzten Mal die Show stehlen…
Rene Binder: „Das sehe ich auch so. Auch wenn die Toyotas eingebremst wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie beim wichtigsten Rennen des Jahres in Bedrängnis kommen werden. Ganz anders ist die Situation bei uns in der LMP2: Nachdem alle Teams mit dem gleichen Material (Anm. Motoren, Chassis, reifen) arbeiten müssen, wird das Renne wieder entsprechend hart umkämpft sein. Das heißt, den Unterschied machen in letzter Konsequenz Renningenieure, Fahrer und Mechaniker aus, die vieles richtig aber auch falsch machen können.“
Bei dem Rekordstarterfeld von 62 Fahrzeugen werden allein 27 Autos in der LMP2 Klasse vertreten sein, von denen wiederum 8 Autos in der Pro-Am-Wertung kategorisiert sind. Was heißt das?
Rene Binder: „Das heißt, dass in dieser letztgenannten Wertung neben zwei Profifahrern auch ein Amateur, man spricht hier von einem Bronze-Fahrer, im Auto sitzen muss. Bei Algarve Pro Racing ist das unser Amerikaner, Steven Thomas, der sich seit Saisonbeginn schon stark gesteigert hat. Auch wenn Le Mans Neuland für ich ist, möchten wir in dieser Pro-Am-Wertung ganz oben mit dabei sein. Ich hoffe nur, dass wir die elektronischen Probleme, die uns beim Vortest genervt haben, jetzt endgültig hinter uns lassen können“
In der Starterliste werden wieder etliche prominente Namen geführt, die man aus der Formel 1, aus der DTM, aus der Rallye-WM und sogar aus Hollywood-Filmen kennt. Was bekommt man als Fahrer davon mit?
Rene Binder: „Wenig. Mir fällt das höchstens auf, wenn ich die Zeitlisten studiere. Da sieht man dann, dass es in unserem Sport einfach viele gute Fahrer gibt und dass prominente Fahrer nicht automatisch schneller sein müssen als die anderen.“
Übrigens: Von den 186 Piloten haben 40 einen französischen Pass, aber nur drei einen österreichischen…
Rene Binder: „Ja, leider und der Hauptgrund liegt aus meiner Sicht in unserem fehlenden Nachwuchssystem. Während wir im Fußball inzwischen eine der besten Nachwuchsakademien haben, passiert im österreichischen Motorsport schon seit Jahren nichts mehr. Dabei bin ich mir sicher, dass es auch bei uns ein paar Talente gibt, die es mit entsprechender Förderung bis in die Formel 1 oder nach Le Mans schaffen könnten. Man kann nur hoffen, dass sich da in den nächsten Jahren einmal was ändert.“
Du hast Dich nach 10 Jahren Formelsport bis hinauf in die amerikanische Indycar Serie nun im Langstreckensport etabliert und bist da wie dort gegen einige der besten Fahrer der Welt gefahren. Was hast Du aus diesem Wettbewerb gelernt.
Rene Binder: „Zwei Dinge: Dass es viele Fahrer gibt, die mit konkurrenzfähigem Material Erfolg haben können. Und zweitens, dass man sich auch selbst im Vergleich zu prominenten Topfahrern einiges zutrauen darf, wenn man unter ähnlichen technischen Voraussetzungen antreten darf. Das habe ich mir vor allem in den beiden letzten beiden Jahren gesehen, in denen ich im Team als gleichwertige Nummer 1 behandelt wurde. Unser Sport ist einfach sehr komplex, aber wenn man einmal die entscheidenden Puzzleteile beisammen hat, beginnen die Dinge auch zu laufen. „
©Fotos: Algarve Pro Racing